Schinkel, 17.05.2018 - Historischer Seilzugbagger „Weserhütte LR 4“ macht nach über 20-jähriger Restaurierung seinen ersten Hub im digitalen Zeitalter. „Tag der offenen Tür“ mit zahlreichen Aktivitäten für große und kleine Baggerfans. Maschinenwerkstatt präsentiert zwei Tage lang Industriegeschichte zum Anfassen.
Bauforum24: Forum Oldtimer & Historisches
Weserhütte Löffelraupenbagger LR4 von 1936
Schinkel – Die Maschinenwerkstatt Martin Kruse, im kleinen Dorf Schinkel zwischen Kiel und Rendsburg gelegen, beherbergt eine Vielzahl historischer Werkzeugmaschinen, Nutzfahrzeuge und Arbeitsgeräte aus dem vorigen Jahrhundert. Nach langjährigen Restaurierungsarbeiten, die einem Neubau nahe kommen, wird das mit Abstand größte und eindrucksvollste Exponat der Sammlung, ein Löffelraupenbagger des Typs „Weserhütte LR 4“ von 1936, am 16. und 17. Juni 2018 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.
Ein bewegtes Baggerleben
Als vermutlich ältestes noch vorhandenes Fahrzeug des bereits 1987 Konkurs gegangenen Bad Oeynhausener Baggerherstellers Eisenwerk Weserhütte AG, symbolisiert dieser Seilzugbagger nicht nur die frühere Vielfalt der deutschen Baumaschinenindustrie sondern ebenso die geschichtlichen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts. Gebaut im Wirtschaftsaufschwung der 1930er-Jahre für ein ostpreußisches Bauunternehmen, gelangte der Bagger während des zweiten Weltkrieges im Zuge der deutschen Nachschubsicherung sogar bis kurz vor Stalingrad. Im Gegensatz zu unzähligen in der Schlacht gefallenen Soldaten kehrte er beschädigt nach Deutschland zurück und wurde in Bad Oeynhausen wieder in Stand gesetzt.
Enttrümmerung Kiel 1940er-Jahre mit Weserhütte LR4
Schon kurz nach Kriegsende konnte der Bagger von seinem inzwischen nach Schleswig-Holstein geflüchteten Besitzer erneut übernommen werden. Er half sogleich bei der Enttrümmerung der Stadt Kiel und meisterte in den Jahren danach zahlreiche Straßen- und Tiefbauvorhaben im Norden, bevor er sein aktives Leben in den 1960er-Jahren beendete und auf dem Bauhof der Firma in Preetz abgestellt wurde. Hier könnte die Baggergeschichte zu Ende sein, wenn das rostige Torso nicht eines Tages zufällig die Aufmerksamkeit des gelernten Feinmechanikers Martin Kruse geweckt hätte.
Straßenbau Schleswig-Holstein 1950er-Jahre mit Weserhütte LR4
Die Keimzelle der Maschinenwerkstatt
„Ich habe mich seit jeher für alte Technik interessiert und Seilbagger mit ihrer kraftvollen Mechanik sind für mich der Inbegriff einer Baumaschine. Nach Hinweisen aus dem Freundeskreis stieß ich 1991 auf den Weserhütte LR 4 im Dornröschenschlaf. Mit einiger Überredungskunst und gegen Zahlung des angeblichen Schrottpreises von 1.000 DM ging der Bagger schließlich in mein Eigentum über“, erläutert Martin Kruse und ergänzt, „Bereits der Transport von Preetz nach Schinkel per Tieflader war unerwartet schwierig und lieferte einen kleinen Vorgeschmack, wie zeitaufwendig sich die Restaurierungsarbeiten gestalten würde!“
Der Löffelraupenbagger wurde zur ersten Bestandsaufnahme komplett in seine Einzelteile zerlegt, darunter alleine 1.000 Gewindeschrauben für den Zusammenhalt. Die Grundsubstanz von Fahrwerk, Motor, Ausleger und Löffel zeigte sich aufgrund des jahrelangen harten Betriebseinsatzes in einem geradezu erbärmlichen Zustand. Viele andere Komponenten waren inzwischen so stark verwittert, dass nicht einmal mehr ihre eigentliche Funktion erkennbar war.
Es grenzt an Sisyphosarbeit
„Zahlreiche Teile mussten anhand alter Konstruktionszeichnungen und Fotos speziell angefertigt werden“, beschreibt Kruse sein detailgenaues Vorgehen. „So habe ich beispielsweise alle im Bagger vorhandenen Lager, Buchsen und Bolzen mit meinen Werkzeugmaschinen von Grund auf erneuert.“ Erfreulicherweise gab es bisweilen auch Unterstützung durch Firmen aus der Region: „Die damals noch vorhandene MWM-Vertretung am Tiessenkai in Kiel-Holtenau lud mich 1992/93 ein, den Dieselmotor des Typs RHS 518 in ihrer Werkstatt aufzuarbeiten und half mir mit Rat und Tat und vielen altbrauchbaren Ersatzteilen aus Bundeswehrbeständen.“
Bei der Bewertung des zeitlichen Gesamtaufwandes darf man nicht vergessen, dass die Restaurierung des Baggers primär in Kruses Freizeit statt fand, denn die Maschinenwerkstatt ist ein Wirtschaftsbetrieb, der sich natürlich auch finanziell tragen muss. Aus der vormaligen Raiffeisen-Lagerhalle entstand ab 1989 nach und nach eine Restaurationsschmiede für historische Nutzfahrzeuge und Arbeitsgeräte, die mit ihren ebenfalls historischen Werkzeugmaschinen heute ein breites Dienstleistungsangebot in den Bereichen Feinmechanik, Konstruktion und Metallbau anbietet. Trotzdem, über die Jahre floss stets auch ein bedeutender Teil an Arbeits- und Lebenszeit in den geliebten Seilbagger, der so ganz allmählich wieder das authentische Erscheinungsbild der 1930er-Jahre annahm.
Ein guter Grund zum Feiern
Der Löffelraupenbagger LR 4 in Schinkel ist heute das vermutlich älteste, mit Sicherheit aber das am perfektesten restaurierteste Vorkriegsfahrzeug des Herstellers Weserhütte. Die öffentliche Präsentation des Baggers in der Maschinenwerkstatt wird daher verbunden mit einem „Tag der offenen Tür“ samt vielfältigem Rahmenprogramm für große und kleine Besucher.
Neben der regelmäßigen Vorführung des Fahrzeuges im aktiven Betrieb gibt es eine umfangreiche Fotoausstellung zu sehen, welche die intensiven Restaurierungsarbeiten nochmals erlebbar macht. Originalfilme vom Baggerbetrieb in den 1950er-Jahren werden ebenfalls gezeigt. Dazu kommen fachkundige Führungen durch die Werkstatt mit ihren historischen Werkzeugmaschinen, Vorführungen der Plandrehbank und anderer funktionsfähiger Schaustücke.
Weserhütte LR4 und Hanomag L28
Auch ein Blick auf zukünftige Restaurationsprojekte wie den Harburger Hafenrollkran von 1910 oder den Hanomag Pickup Typ L 28 wird den Besuchern geboten. Im Hof der Maschinenwerkstatt werden zudem historische Nutzfahrzeuge befreundeter Sammler erwartet, darunter ein Mercedes-Benz L 710 Pritschenwagen, ein Hanomag Granit Schlepper und ein Lanz Bulldog. Für rustikale Verpflegung ist natürlich ebenfalls gesorgt.
Die Maschinenwerkstatt ist zum „Tag der offenen Tür“ am 16. und 17. Juni 2018 jeweils von 14:00 bis 19:00 Uhr für interessierte Besucher geöffnet. Die Adresse lautet: Raiffeisenstraße 2, 24214 Schinkel. Parkplätze sind im Umfeld vorhanden.
Über den Bagger
Der sogenannte Löffelraupenbagger Typ LR 4 wurde vom Eisenwerk Weserhütte AG ab 1930 gefertigt. Er repräsentiert die letzte Entwicklungsstufe der LR-Serie, deren erste Versionen ab 1904 noch mit einem Schienenfahrwerk am Standort im ostwestfälischen Bad Oeynhausen produziert wurden. Insgesamt lieferte die Maschinenfabrik bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs ca. 1.500 Seilbagger unterschiedlicher Leistungsklassen an Kunden im In- und Ausland. Die Weserhütte zählte damit zu den eher kleineren Baggerherstellern in Deutschland.
Der LR 4 galt als kompakter Universalbagger mit einen Löffelinhalt von 0,4 Kubikmetern. Der Oberwagen mit Führerstand, Motor und Winden hat die Abmessungen 3,50 x 2,60 x 3,26 Meter. Je nach angebautem Zubehör war die Maschine flexibel als Greif-, Planier-, Graben- und Schleppkübelbagger sowie als Kran oder Ramme einsetzbar. In der vorliegenden Version als Löffelhochbagger erlaubt der verstellbare Ausleger von 5,50 Meter Länge Arbeitshöhen bis 6,50 Meter und Reichweiten bis 7,90 Meter, das Dienstgewicht liegt bei 20,5 Tonnen.
Angetrieben wird der LR 4 seit den 1950er-Jahren von einem dreizylindrigen MWM-Dieselmotor Typ RHS 518 mit 60 PS Leistung. Ursprünglich war das vierzylindrige Vorgängermodell RHS 418 mit 45 PS eingebaut. Aufgrund der Eigengeschwindigkeit von gerade mal 1,7 km/h erfolgte der Transport des Baggers zum Einsatzort in der Regel per Eisenbahn, die Breite des Raupenfahrwerks war auf diese Bahnverladung abgestimmt.
Bauhof Walter Kaiser 1991 mit schrottreifer Weserhütte LR4 vor Abtransport
Unser LR 4 mit der Seriennummer 1136 wurde 1936 von der Bauunternehmung Walter Kaiser im ostpreußischen Rastenburg erworben und im Straßen- und Tiefbau eingesetzt. Mit Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurde das Unternehmen zusammen mit seinen bis zu 1.500 Mitarbeitern der paramilitärischen „Bauorganisation Todt“ unterstellt. Im Rahmen des Russland-Feldzuges musste der LR 4 mit seiner Mannschaft die deutschen Nachschubwege in Stand halten und kam 1942 sogar bis in die Nähe von Stalingrad (heute Wolgograd).
Nach Beschädigungen durch Partisanenüberfälle wurde der Bagger zur Instandsetzung zurück zum Hersteller nach Bad Oeynhausen transportiert. Und während die Werksanlagen der Weserhütte 1945 bei einem Luftangriff stark beschädigt wurden, erlebte der LR 4 das Kriegsende dort in tadellosem Zustand betriebsbereit abgestellt.
So konnte Walter Kaiser, der mit einigen Mitarbeitern gegen Kriegsende ins schleswig-holsteinische Preetz geflüchtet war, seinen Bagger noch 1945 wieder vom Hersteller übernehmen. Per Bahn nach Kiel transportiert, half der LR 4 sogleich bei der umfangreichen Trümmerberäumung der stark zerstörten Stadt. Der Universalbagger bildete folglich den Grundstock im Maschinenpark des neu aufgebauten mittelständischen Bauunternehmens. Er wurde bis in 1961 auf zahlreichen Baustellen eingesetzt und dann von jüngeren Maschinen abgelöst.
Der letzte Einsatz erfolgte in einer Kiesgrube nahe dem Rastorfer Kreuz (Ausbau der Bundesstraße 202). Senior-Chef Walter Kaiser hatte geplant, den LR 4 als technisches Denkmal vor dem Firmeneingang aufzustellen, doch dazu kam es nicht und so verrostete der Bagger still und leise im hinteren Teil des Geländes. Seine Überreste wären wohl längst im Hochofen gelandet, hätte Martin Kruse ihn nicht 1991 aus seinem Dornröschenschlaf erweckt.
Martin Kruse im Führerstand des Weserhütte LR4
Über die Maschinenwerkstatt
Die Maschinenwerkstatt wurde von Martin Kruse 1989 auf dem Gelände des vormaligen Raiffeisen-Lagers im schleswig-holsteinischen Schinkel, gelegen zwischen Kiel und Rendsburg, gegründet. Schon zwei Jahre später traf der Löffelraupenbagger als erstes Großobjekt ein und wurde zur Keimzelle der heutigen Sammlung historischer Arbeitsmaschinen.
Diese umfasst neben dem Weserhütte LR 4 von 1936 unter anderem eine Hanomag Zugmaschine Typ L 28 von 1963 mit Gaubschat-Auflieger (betriebsfähig), einen Harburger Hafenrollkran der zweiten Generation mit Elektroantrieb des Herstellers Gebr. Burgdorf von ca. 1910 (in Restaurierung), und einen in Kiel gebauten Schiffsdieselmotor DWK 6 M 24 aus den 1930er-Jahren (Inbetriebnahme bevorstehend). Daneben sind viele kleinere Objekte und Maschinen vorhanden, deren Restaurierung noch bevorsteht.
Mit viel Überzeugungskraft und wenig Geld wurden zudem zahlreiche historische Werkzeugmaschinen zusammen getragen, teilweise in buchstäblich letzter Minute vor der Verschrottung gerettet. In mühevoller Kleinarbeit nach und nach wieder betriebsfähig gemacht, werden diese heute für die Fahrzeugrestaurierung aber auch im Alltagsgeschäft der Maschinenwerkstatt eingesetzt.
Zu den feinmechanischen Schmuckstücken zählen ein Horizontal-Bohrwerk der Maschinenfabrik Wetzel in Gera aus den 1930er-Jahren, das ursprünglich bei der Hamburger Großwerft Blohm & Voss im Einsatz war. Leider noch nicht wieder einsatzbereit ist die Schiffbau-Exzenterpresse, die von der Lauenburger Hitzler Werft zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebaut wurde. Funktionsfähig ist eine Plandrehbank der Maschinenfabrik Wohlenberg von 1909, die beim Bearbeiten von Schwungrädern gute Dienste leistet. Neben diversen Fräsmaschinen bereichert ein Schnellhobler der Wotan-Werke AG aus Glauchau aus den 1930er-Jahren den Maschinenpark.
Die Maschinenwerkstatt bietet ihren Kunden heute ein breites Dienstleistungsangebot in den Bereichen Feinmechanik, Konstruktion und Metallbau an. Daneben gehört Martin Kruses Leidenschaft dem Betrieb und der Restaurierung historischer Arbeitsgeräte. Als Spezialist für die Instandsetzung von Nutzfahrzeugen der früheren Hersteller Hanomag und Weserhütte sowie Dieselmotoren der Marken Deutz/MWM und DWK/MaK genießt die Maschinenwerkstatt einen hervorragenden Ruf.
So ist es nicht verwunderlich, dass neben Unternehmen aus der Region, Fahrzeugbetreibern und Sammlern alter Technik auch kommunale Träger, Museen und Initiativen zu den Kunden der Maschinenwerkstatt zählen. Für das Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseum wurden diverse Ausstellungstücke aufgearbeitet und Motoren in Stand gesetzt, für den Rendsburger Canal-Verein wurden Bauteile der historischen Schleusenanlagen des ehemaligen Eiderkanals restauriert.
Die vielfältigen Aktivitäten Martin Kruses bei der Bewahrung industriellen Kulturgutes wurden bereits mehrfach in den Medien portraitiert, zuletzt im Jahre 2016 im Rahmen der NDRFernsehsendung „Landpartie“. Vor dem 2019 anstehenden 30-jährigen Jubiläum präsentiert sich die Maschinenwerkstatt als flexibel aufgestellter Restaurationsbetrieb, der eine im Norden wohl einmalige Mischung aus alten Techniken und zeitgemäßem Handwerk anbietet.
Weitere Informationen: Maschinenwerkstatt Martin Kruse | © Fotos: Maschinenwerkstatt Martin Kruse
- 3
Diskutiere mit!
Du kannst jetzt antworten und Dich später anmelden. Wenn du bereits einen Account hast kannst du dich hier anmelden.